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220 Stahlblech-Dreiecke hängen frei schwingend an der Wand der Vorstands-Etage der Fresenius Konzernzentrale in Bad Homburg und bewegen sich im leichten Luftzug. Einige sind stark verrostet, andere glänzend neu. Auf ihrer Oberfläche zeigen sich Jahreszahlen, Symbole, Schrift – und die Gestalten zweier Frauen: eine junge Frau lächelt, eine ältere Frau schreitet entschlossen voran.
Einige Schritte zurücktretend zeigt sich dem Betrachter das Gesamtbild: Eine 3x4 Meter große Collage des Lebens und Wirkens der Fresenius-Wegbereiterin Else Kröner.
Gestaltet wurde das Denkmal von Lutz Jahnke, 38, Designer und Künstler aus Offenbach. Als er den Auftrag von Stephan Sturm, dem Vorstands-Vorsitzenden des Fresenius Konzerns, erhielt, war bereits klar, dass die Entstehungsgeschichte des Unternehmens und die moralischen Werte der Wegbereiterin zentrales Motiv des Denkmals sein sollen.
Else Kröner hatte 1946 die Firma Fresenius in Bad Homburg und die im Krieg stark zerstörte Hirschapotheke auf der Zeil in Frankfurt geerbt. Die damals 21 jährige frisch gebackene Apothekerin widmete fortan ihre ganze Energie dem Wiederaufbau des Unternehmens. Mit Tatkraft, Willensstärke, Güte und Verantwortungsbewusstsein schuf sie die Voraussetzungen für einem weltweit tätigen Gesundheitskonzern.
Das bescheidene Selbstverständnis Else Kröners und Ihre Kraft, das Unternehmen aus der Zerstörung der Nachkriegszeit in eine glanzvolle Zukunft zu führen, brachten Jahnke auf die Idee des Materials für seine Arbeit: Stahlblech. Unprätentiös, ja sogar rostig wenn Witterung ausgesetzt aber auch stark und glanzvoll bei richtiger Pflege, spiegelt dieser Werkstoff ideal das von Else Kröner geformte Unternehmen Fresenius mit den Höhen und Tiefen seiner Geschichte wider.
Das ursprüngliche Logo der Hirschapotheke – ein Dreieck mit stilisiertem Hirsch und dem Buchstaben „F“ für Fresenius – wählte Jahnke zum grafischen Ausgangsmotiv für das Denkmal. Daraus leitete er das Grundelement seiner Komposition ab: 225 x 300 x 1 mm starke Dreiecke, die mosaikartig zusammengesetzt eine Gesamtfläche von insgesamt fast 15 Quadratmetern und ein Gewicht von über 100 Kilo an die Wand bringen – genug Fläche, um die Geschichte einer erfolgreichen Unternehmerin zu erzählen.
»Wer, wenn nicht wir?« – die von Else Kröner ausgegebene und bis heute gültige Maxime des Unternehmens und der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung durchdringt mehrdimensional die gesamte Fläche des Werks. Dazwischen stehen ihre wichtigsten Lebensdaten: 1925 – Ihr Geburtsjahr, 1946 – das Jahr der Übernahme des Familien-Unternehmens Dr. Fresenius und 1988 – ihr Todesjahr. Es finden sich verschiedene Entwicklungsstadien des Markenzeichen sowie das große „E“ für die von Ihr in Leben gerufene Else-Kröner-Fresenius Stiftung. Im Kern der Komposition stehen die zwei Bildnisse von Else Kröner, die nach authentischen Fotos entstanden. Als junge Frau steht sie für Mut, Tatkraft und Dynamik, als ältere Frau in Ganzaufnahme für Unternehmertum, Erfolg und Güte. Durch ihre zurückhaltende Kleidung verkörpert sie Traditionsbewusstsein und Beständigkeit.
Die aufwändige Collage des Denkmals entstand über mehrere Wochen im Atelier des Künstlers und spiegelt auch hier die intensive Arbeit und Liebe wider, mit der sich Else Kröner um das Unternehmen zu Lebzeiten kümmerte. Die Stahlkacheln durchliefen vielfältige Bearbeitungsschritte: vom Abdecken, Bekleben und Lackieren bestimmter Partien über die Behandlung der Oberflächen mit Salz, Öl, Aceton, Wasser, Zitrone, Toner, Lack und Folie, dem Erzeugen der verschiedenen Korrosions-Effekte mit Hilfe von Wetter, Feuer und Zeit bis hin zum finalen Polieren der Kacheln mit Stahlwolle.
An ihrem Bestimmungsort – EK2 des 4. Stockwerkes im C Flügel – montierte Jahnke die Dreiecke mit Hilfe von Stahl-Blech-Schrauben in etwa 4 cm Abstand von der Wand. Die freischwingenden Kacheln bilden dabei aber nur eine von mehreren Ebenen im Zusammenspiel von Flächen, Wand und Raum. So setzen sich etwa die Schriftzüge auf den Kacheln auch auf der dahinterliegenden Wand fort – das Motto Else Kröners dringt damit quasi in das Gebäude ein.
Auch die Raumsituation hat Jahnke bei seinem Werk berücksichtigt: Fällt Sonne durch die Glasdecke des Raumes, so taucht die orange lackierte Rückseite der Stahlkacheln die ganze Wand in ein gütiges warmes Leuchten – als wäre der Geist der Unternehmerin auch heute noch präsent. Und vorübergehende Mitarbeiter werden mit immer neuen Perspektiven und Blickwinkel auf die Inhalte des Denkmals überrascht. Denn von keiner Position sieht das Werk gleich aus, da sich alle Linien im Kunstwerk gegeneinander bewegen und durch die Aussparungen Vorder- und Hintergrund immer neue Beziehungen zueinander erzeugen.
Wie das Unternehmen so ist auch das Werk in ständiger Veränderung – an manchen Stellen wird durch das Fortschreiten der Zeit die Oberflächenstruktur der Kacheln verändert, gleichzeitig ist es an allen Seiten jederzeit erweiterbar. Jahnke sieht das Denkmal nur als Fragment eines globalen Gesamtwerks. Denn jede einzelne Kachel steht für die Motivation und das Engagement der vielen Mitarbeiter weltweit, die zum Gelingen des Unternehmens beitragen. Und für immer neue Projekte, welche die Else-Kröner-Fresenius-Stiftung unter dem Motto „Forschung fördern. Menschen helfen“ in der medizinischen Wissenschaft sowie auf medizinisch-humanitärem Gebiet initiiert und finanziell ausstattet.
Die Gestaltung des Else Kröner Denkmals war für Lutz Jahnke auch persönlich eine ganz besondere Aufgabe. Selbst in einem Denkmal aufgewachsen – im einzigen erhaltenen Schloss des 6-Ämter-Landes im Fichtelgebirge – hat der Künstler auch sonst eine besondere Beziehung zu Denkmälern. So schuf er 2009 zum Verbot der Glühbirne zusammen mit Julia Diehl | ux-co.de das „Birnendenkmal“ – eine 15.000 mal verkaufte Konserve mit funktionierender Glühbirne. Anfang 2014 drehte er zusammen mit der Ukrainerin Olga Petrova mit dem „Road Movie Ukraine“ ein filmisches Mahnmal der politischen Situation vor Ort. Und seit fast genau 7 Jahren leitet er die Akademie für interdisziplinäre Prozesse – mittlerweile ein Kulturdenkmal in Offenbach.
Denkmäler zu fertigen zwingt konzentriert und vielschichtig in ein Thema einzudringen. Dort wo die Vergangenheit an Gegenwärtiges stößt, entsteht Zukunft und das Denkmal wird Mahnmal — im Schlechten, wie im Guten: »Wer, wenn nicht wir?«
Text: Julia Diehl
diplom designer lutz jahnke
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